Anlagestrategie: langer Atem zahlt sich aus

Wenn sich der Wind an den Märkten dreht, sollten Anleger ihre Investmentstrategie nicht vorschnell über Bord werfen, rät Anlageprofi Andreas Schyra von der Vermögensverwaltung PVV.

10. August 2022

3,6 min.

Dr. Andreas Schyra

Foto: PVV AG

In den letzten Jahren der Nullzinsphase wurden zahlreiche Anlagerichtlinien von eigentlich als konservativ oder ausgewogen zu bezeichnenden Investoren überarbeitet. Anleger, welche auf laufende, ausschüttungsfähige Erträge angewiesen sind und diese nicht durch Investitionen in verzinsliche Assets erzielen konnten, erhöhten ihre Aktienquoten und versuchten, ausbleibende Zinserträge durch Dividenden zu kompensieren.

Die Börsenturbulenzen der vergangenen Monate werden jedoch bei zahlreichen Anlegern, die ihre Portfoliorisiken derart erhöhten, für schlaflose Nächte und Schweißperlen auf der Stirn gesorgt haben. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Anpassungen einer Anlagerichtlinie und die beschriebene Risikoausweitung aufgrund einer vermeintlich geänderten Anlagestrategie wohl bedacht sein sollten.

Längerfristige Anlagestrategie wählen

Da Privatanleger in der Regel nicht über eine verschriftlichte Anlagerichtlinie verfügen, ist die Wahl der richtigen Anlagestrategie von großer Bedeutung. Im Austausch mit einem professionellen Vermögensverwalter wird eine Anlagestrategie im Regelfall auf der Grundlage zahlreicher Einflussfaktoren erarbeitet. Entscheidende Faktoren dieser Rahmenbedingungen sind unter anderem die grundsätzliche Risikoneigung, die Risikotragfähigkeit, die Kapitalanlagedauer und der Zweck der Anlage. Diese und zahlreiche weitere Einflussgrößen können sich zwar im Zeitverlauf ändern, weshalb eine regelmäßige Überprüfung nötig ist. Nicht jede Anpassung führt jedoch zwangsläufig zu einer geänderten Anlagestrategie.

Das obige Beispiel zeigt auch, dass die Anlagestrategie mit einer mittel- bis langfristigen Perspektive gewählt werden sollte. Bei einer langfristigen Anlagedauer können die eingegangenen Risiken höher ausfallen als bei einer kurzfristigen Investition. Schließlich heilt die Zeit bekanntlich viele Wunden, und zwischenzeitliche Verluste können sich im Zeitverlauf wieder ausgleichen und in die Gewinnzone entwickeln. Die gilt zumindest bei einer geeigneten Asset Allocation, mittels derer die Anlagerichtlinien beziehungsweise die Anlagestrategie umgesetzt wird.

Die langfristige Entscheidung für Kapitalmarktinvestitionen sollte auch dadurch nicht konterkariert werden, dass jeder Vermögensverwalter monatlich oder quartalsweise seinen Kunden entsprechende Reporting-Unterlagen zur Verfügung stellt. Dieser kurzfristige Rhythmus dient der Kundeninformation und nicht einer regelmäßigen Anpassung der Anlagestrategie, wenn die langfristigen Erwartungen vielleicht kurzfristig verfehlt werden.

Eine Vermögensverwaltung verfolgt, unabhängig vom Turnus der Berichterstattung, grundsätzlich einen langfristigen Investitionsansatz. Somit sollte aus langfristigen Anlagen nicht aufgrund von Börsenentwicklungen eine kurzfristige Spekulation werden. Denn das Risiko von Spekulation ist deutlich höher als die Börse langfristig für sich arbeiten zu lassen

Blick nicht vernebeln lassen

Zahlreiche Anleger, die ihre Risikoquoten in den letzten Jahren – entgegen ihrer eigentlichen Neigung – erhöhten und nun gegebenenfalls Verluste zu verzeichnen haben, bekommen nun vor Augen geführt, dass sie mit den eingegangenen Risiken nicht leben können.

Derartige Aspekte sollten vor einer entsprechenden Umsetzung durchdacht und besprochen werden. Weder Aktienmarkt-Haussen noch wirtschaftliche Zyklen kennen nur die Aufwärtsbewegung samt steigender Börsenkurse. Dies gilt auch, wenn Notenbanken einen Aufschwung, wie in den letzten Jahren geschehen, künstlich verlängern. Es wird immer Ereignisse geben, die Aktienkurse auch wieder fallen lassen und Anlegern damit die eingegangenen Risiken verdeutlichen.

Das Gute an der globalen wirtschaftlichen Aktivität und den Entwicklungen an den Börsen ist, dass Herausforderungen irgendwann abgebaut werden und sich die Rahmenbedingungen auch wieder verbessern. Das gilt auch für das derzeitige konjunkturelle Umfeld und die zahlreichen negativen Einflüsse, welche auf Aktienbewertungen lasten. Es sollte jedem Anleger bewusst sein, dass es auch wieder aufwärts geht. Nur von welchem Nivea aus und in welchem Ausmaß, das ist schwierig zu beantworten. Diese Fragen sollten jedoch die langfristige Perspektive auf die Anlagestrategie nicht vernebeln.

Märkten nicht blind hinterherlaufen

Wer in Zeiten des Aufschwungs seine Investitionsrisiken hochgefahren hat und sie nicht wieder verringern konnte, bevor die Börsen in Richtung Süden drehten, verzeichnet aktuell wahrscheinlich Verluste. Ein erneuter Wechsel zu einer risikoärmeren Strategie würde jedoch dazu führen, dass an verlustreichen Kapitalmarktentwicklungen mit hohen Aktienquoten partizipiert wurde, um danach zu einer vermeintlich konservativeren Strategie zurückzukehren. Dadurch würden sich die Chancen deutlich verringern, an einer Erholung der wirtschaftlichen Lage teilzuhaben und Investitionsverluste wieder auszugleichen.

Demnach sollte bei einer etwaigen Verringerung der Investitionsrisiken auch überdacht und hinterfragt werden, ob der Zeitpunkt dafür geeignet ist – und ob das langfristig verfolgte Ziel dann immer noch realistisch erreichbar ist.

  • Dieser Artikel wurde geschrieben für DAS INVESTMENT.

Über den Autor

Dr. Andreas Schyra

About the Author: Dr. Andreas Schyra

ist Mitglied des Vorstands der PVV AG und verantwortet das Portfoliomanagement sowie sämtliche Aufsichtsbereiche. Zudem doziert er in finanzwirtschaftlichen Studiengängen an der FOM Hochschule Essen, publiziert Beiträge zu aktuellen Fragestellungen des Finanzwesens und hält Fachseminare beim Verband unabhängiger Vermögensverwalter Deutschland e.V.
Dr. Andreas Schyra

Weitere Nachrichten