Inflation frisst Zinserträge auf – Anleihen rentieren wieder, aber nur auf den ersten Blick

Die gute alte Staatsanleihe rentiert dank der Zinserhöhungen der vergangenen Monate wieder positiv. Doch lässt sich mit den Papieren nun wirklich Geld verdienen? Ein näherer Blick auf die Anlageklasse zeigt, warum Anleger weiterhin Aktien bevorzugen sollten, wenn sie die entsprechenden Risiken tragen können und wollen.

14. Dezember 2022

4,8 min.

Dr. Andreas Schyra

Foto: PVV AG

Die gute alte Staatsanleihe wirft wieder Geld ab, dank der Zinserhöhungen der Notenbanken. Doch lässt sich mit den Papieren nun wirklich Geld verdienen? Ein näherer Blick auf die Anlageklasse zeigt, warum Anleger weiterhin Aktien bevorzugen sollten.

Die letzten Monate waren für Anleiheinvestoren sehr nervenzehrend. Nachdem die Notenbanken ihre Nullzinspolitik aufgrund des dynamisch zunehmenden Inflationsdrucks aufkündigten und zu einer deutlich restriktiveren Vorgehensweise geschwenkt sind, kamen die Kurse unzähliger Anleihen stark unter Druck. Auch diesmal ist die US-amerikanische Federal Reserve (Fed) der Europäischen Zentralbank (EZB) mit der Anzahl und dem Umfang ihrer Zinsschritte deutlich voraus, was sich jedoch nahtlos und fast traditionell in die historische Vorgehensweise beider Institute einreiht.

Dieser Zinserhöhungszyklus bewirkt deutlich stärkere Kursverluste langlaufender sowie bonitätsschwacher Unternehmens- und Staatsanleihen, als sie bei einigen renommierten Aktien respektive Aktienindizes zu verzeichnen sind. Jedem Marktteilnehmer war zuvor bereits klar, dass die Notenbank- sowie die Marktzinsen eines Tages steigen werden, doch wann und in welchem Ausmaß und welcher Schnelligkeit dies eintreten werde, war unklar. Mit einer derartigen Dynamik haben jedoch sicher die Wenigsten gerechnet und so wurden zahlreiche Anleger trotz einer entsprechenden Erwartungshaltung auf dem falschen Fuß erwischt.

Haben die Inflationsdaten ihren Höhepunkt erreicht oder gar überschritten?

Nachdem sich mittlerweile erste Anzeichen verdichten, welche die Prognose zulassen, dass der Inflationsdruck in den USA und der Eurozone nachlassen könnte, gehen viele Analysten davon aus, dass die Fed zwar weitere Zinserhöhungen vornimmt, diese jedoch geringer ausfallen als die bisher jeweils genutzten 75 Basispunkte. Auch die letzten Aussagen von Fed-Präsident Powell deuten darauf hin, dass die nächsten Zinsschritte geringer ausfallen.
Auch in Deutschland sind die Inflationsdaten für den November 2022 mit zehn Prozent geringer ausgefallen als prognostiziert beziehungsweise im Vormonat berichtet. In Europa respektive der Eurozone divergieren die Preisentwicklungen jedoch stark und Deutschland liegt eher am unteren Ende der Rangliste, was für deutsche Verbraucher schön ist, die Aufgabe der EZB jedoch zunehmend erschwert.

Da die Notenbankpolitik der EZB 19 Länder umfasst, gelten auch ihre Zinsentwicklungen für diese Ländergruppe. Eine Vereinheitlichung, wie sie die Fed für die USA ausüben kann, ist aufgrund unterschiedlicher volkswirtschaftlicher Rahmenbedingungen zunehmend herausfordernd. Somit hat die zukünftige Vorgehensweise der US-Notenbank auch nur eingeschränkte Aussagekraft über die weiteren Aktivitäten der EZB.

Harte Landung der US-Wirtschaft soll vermieden werden

Insbesondere die Fed wird jedoch versuchen eine harte Landung der US-Wirtschaft zu vermeiden und genau beobachten und versuchen zu antizipieren, wie lange und wie tief die Rezession im kommenden Jahr ausfällt. Ob es zu einer Rezession in zahlreichen Wirtschaftsregionen kommt, gilt mittlerweile als unausweichlich und inverse Zinsstrukturkurven kündigen dies bereits an. Da die Fed entgegen der EZB einen deutlich stringenteren Wirtschaftsfokus verfolgt, ist davon auszugehen, dass die US-Notenbankzinsen im kommenden Jahr ihren Höhepunkt erreicht habe werden. Derartige Ereignisse beziehungsweise Erwartungshaltungen werden von der Börse und dem Kapitalmarkt etwa ein halbes Jahr vorweggenommen und in den Kursen eingepreist.

Anleger sollten kurzlaufende Anleihen bevorzugen

Um die geschilderte, mögliche Entwicklung mittels Anleihekäufen zu nutzen, scheint mittlerweile der Zeitpunkt gekommen zu sein, Positionen aufzubauen. Da die Notenbanken insbesondere das kurze Zinsende beeinflussen können, sollten die Lauzeiten beispielsweise von europäischen oder US-amerikanischen Unternehmensanleihen ebenfalls vergleichsweise kurz gewählt werden. Der Grad der Spekulation und der Unsicherheit steigt mit zunehmender Duration der ausgewählten Anleihen. Insbesondere höhere Spreads, aufgrund systematischer und individueller unsystematischer Risikofaktoren sprechen weiterhin zusätzlich gegen zahlreichere riskantere und länger laufende Titel.
Sowohl in der Eurozone als auch in den USA wird es jedoch nötig sein, sich über einen längeren Zeitraum an Preisniveausteigerungen oberhalb des Zielniveaus der Notenbanken zu gewöhnen. Für Anleger kann dies ein relativ attraktives Investitionsumfeld darstellen, soweit Unternehmen ihren Wachstumspfad fortsetzen. Zwischen erhöhten Preissteigerungen und einem positiven Wirtschaftswachstum besteht nicht zwangsläufig ein Konflikt, denn stark vereinfacht gesagt, kommt es nicht zu einem steigenden Inflationsdruck, falls Unternehmen nicht in der Lage sind Preissteigerungen an ihre Kunden weiterzugeben.

Warum Aktien letztlich sinnvoller als Anleihen wären

Für Anleger ist jedoch nicht die nominale Verzinsung beziehungsweise Rendite einer Investition entscheidend, sondern zumindest der reale Werterhalt, das heißt, eine kaufkraftbereinigte Wertsteigerung. Angenommen die Inflation verharrt über einen mittelfristigen Zeitraum auf einem Niveau von etwa fünf Prozent, benötigen Anleger zum realen Werterhalt eben diese Rendite nach steuerlicher Belastung. Soweit lediglich die Abgeltungssteuer berücksichtigt wird und nur auf einen realen Werterhalt ohne Zuwächse abgezielt wird, muss die Rendite einer Anleihe bei 6,25 Prozent jährlich liegen.

Derartige Renditen sind bei manchen Anleiheklassen derzeit bereits wieder zu erzielen, wie risikobehaftet sie jedoch sind, liegt im individuellen Auge des Betrachters. Zudem wird es noch eine gewisse Zeit dauern, bis die Inflation von aktuell etwa zehn auf die angenommen fünf Prozent sinkt. In der Zwischenzeit ist die Realrendite des Anlegers negativ, soweit die Anleiherendite nach Steuern nicht die durchschnittliche Inflation währen der Laufzeit übersteigt. Wie hoch das Risiko einer Anleihe sein muss, um die derzeitige Preisniveausteigerung zu übertreffen, ist durch deren Aufschlag zum risikolosen Zins leicht ersichtlich.

Sollte sich die Inflation zukünftig relativieren und die zu erwartende Rezession im nächsten Jahr nicht zu tief und lang ausfallen, sind all die genannten Aspekte eher ein Plädoyer für Investitionen in die Aktien qualitativ hochwertiger Unternehmen mit Preissetzungsmacht und möglichst überregionalem Kundenstamm. Falls die Notenbanken im nächsten Jahr tatsächlich der Rezession mit Zinssenkungen entgegenwirken, fallen die Renditen dann neu emittierter Anleihen wieder geringer aus, was deren Attraktivität einschränkt und ebenfalls erneut für Aktienkäufe spricht.

  • Dieser Artikel wurde geschrieben für Focus Online.

Über den Autor

Dr. Andreas Schyra

About the Author: Dr. Andreas Schyra

ist Mitglied des Vorstands der PVV AG und verantwortet das Portfoliomanagement sowie sämtliche Aufsichtsbereiche. Zudem doziert er in finanzwirtschaftlichen Studiengängen an der FOM Hochschule Essen, publiziert Beiträge zu aktuellen Fragestellungen des Finanzwesens und hält Fachseminare beim Verband unabhängiger Vermögensverwalter Deutschland e.V.
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