Fortsetzung der Initiative der PVV AG und PVV-Stiftung zur Unterstützung von Familien und Kindern, die unter dem Krieg in der Ukraine leiden

Nachdem wir Ihnen unsere grundsätzliche Intention zur Unterstützung von Familien und Kindern, die unter dem Krieg in der Ukraine leiden und unsere erste Hilfslieferung in das Grenzgebiet zwischen Polen und der Ukraine bereits geschildert haben, möchten wir Sie hiermit über die Fortsetzung unserer Aktivitäten informieren.

19. Mai 2022

18,8 min.

Julian Kampmann

Foto: PVV AG

Liebe Kunden, Geschäftspartner und Freunde der PVV AG,

nachdem wir Ihnen unsere grundsätzliche Intention zur Unterstützung von Familien und Kindern, die unter dem Krieg in der Ukraine leiden und unsere erste Hilfslieferung in das Grenzgebiet zwischen Polen und der Ukraine bereits geschildert haben, möchten wir Sie hiermit über die Fortsetzung unserer Aktivitäten informieren.

Nachdem wir am 16. März von unserer ersten Lieferung zurückkehrten, erreichten uns unzählige Fragen, ob wir eine derartige Tour noch einmal planen oder unsere Unterstützung auf geflüchtete Familien verlagern, die mittlerweile in Essen angekommen sind. Es war uns zu diesem Zeitpunkt nicht annähernd gelungen, die Eindrücke und insbesondere die Bilder der Familien und Kinder, denen wir am Grenzübergang in Korczowa begegnet waren, zu verarbeiten. Nichtsdestotrotz konnte die einzige Antwort nur lauten, dass wir sowohl geflüchteten Familien hier vor Ort, als auch den Menschen in der Ukraine weiterhin unsere Hilfe zukommen lassen wollten.

Weit über das direkte Umfeld der PVV AG hinaus stellten zu diesem Zeitpunkt bereits Menschen aus Essen Wohnungen zur Verfügung, die teilweise in Windeseile renoviert und vollständig eingerichtet wurden. Im Rahmen von Nachbarschaftshilfen wurde angepackt und somit ergab sich eine kumulierte Hilfsleistung, die wir alleine nie hätten stemmen können. Binnen kürzester Zeit konnten zwei Wohnungen in Essen-Kettwig und eine weitere in Burgaltendort von drei Familien mit Kindern bezogen werden. Mit einzelnen Sachspenden und Dingen des täglichen Bedarfs, die entweder nicht mehr in die Transporter der ersten Hilfslieferung passten oder neu von uns gekauft wurden, versorgten wir die Familien, damit diese nicht nur in Sicherheit waren, sondern sich auch gut aufgehoben fühlten.

Bitte sehen Sie es uns nach, dass wir keine Fotos der Flüchtlingsfamilien zeigen. Wir möchten den Menschen ihre Selbstbestimmung lassen und halten es für unwürdig, hier Fotos abzudrucken. Um Ihnen nahezubringen, welches Ausmaß die Hilfsleistung der Personen erlangte, die uns wiederum bei der Unterbringung von mittlerweile weit mehr als 20 Menschen aus der Ukraine unterstützten und ihren Wohnraum bereitstellten, möchten wir Ihnen zumindest zwei kleine Episoden schildern:

Die beiden Damen, die in einem privaten Wohnhaus in Essen-Burgaltendorf aufgenommen wurden, hatten zwei kleine Kinder dabei, von denen eines schwer an einer Hirnhautentzündung erkrankt ist und in der Ukraine – aufgrund des Krieges – nicht weiter hätte behandelt werden können. Kurz nach deren Ankunft in Essen suchte die Gastfamilie Kontakt zu diversen Ärzten auf, um die Behandlung des kleinen Jungen im Alter von zwei Jahren schnellstmöglich wieder aufzunehmen. Sie können sich vorstellen, welche Emotionen damit verbunden sind, geflüchtete Menschen in die eigenen vier Wände aufzunehmen und sich daraufhin um die ärztliche Behandlung eines schwer erkrankten Kleinkindes zu kümmern. Zum aktuellen Zeitpunkt wissen wir, dass die Versorgung des Jungen gewährleistet ist und er sich auf dem Weg der Besserung befindet. Wir wünschen dem Kleinen alles erdenklich Gute und vor allem schnelle und vollständige Genesung.

Eine Familie aus Kettwig nahm zudem zwei größere ukrainische Familien aus Kiew auf. Glücklicherweise steht in den beiden bereitgestellten Wohnungen ausreichend Platz für mittlerweile elf Personen über drei Generationen zur Verfügung. Auch diese Menschen waren nur mit Rucksäcken geflohen und mussten zunächst mit den nötigsten Dingen versorgt werden, worum sich insbesondere eine Gemeinschaft von Anwohnern aus Kettwig kümmerte. Gemeinsam mit einer Mutter war ein kleiner Sohn nach Essen gekommen, der bis zum Kriegsausbruch bei Dynamo Kiew in der Jugendabteilung Fußball spielte. Um dem ukrainischen
Nachwuchsfußballer die Eingewöhnung in Essen zu erleichtern und ihm Kontakte zu gleichaltrigen zu ermöglichen, spielt der Kleine mittlerweile beim FSV Kettwig in einer Jugendmannschaft. Dort zeigt er scheinbar sehr anschaulich, dass er zu höheren sportlichen Herausforderungen berufen ist. Da die Profimannschaft von Dynamo Kiew zwischenzeitlich Freundschaftsspiele gegen die Bundesliga-Teams von Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach absolvierte, besuchten die Gastfamilien mit ihren neuen ukrainischen Mitbewohnern die Fußballspiele, deren Reinerlöse der Ukraine zufließen.

Anhand dieser kurzen Schilderungen wird ersichtlich, dass die Hilfsbereitschaft auch hier in Essen und weit über unsere Aktivitäten groß ist und weit über die Bereitstellung von Wohnraum und die Versorgung hinausgeht. Wir danken allen Beteiligten, dass sie nicht nur Geld und Zeit aufbringen, sondern die Hilfe mit Herzblut erbringen, wodurch es den Familien hoffentlich erleichtert wird, hier nicht nur körperlich anzukommen.

Nun möchten wir Ihnen schildern, wie es bei der PVV AG und der PVV-Stiftung konkret weiterging. Hierzu folgen erneut einige Ausführungen aus der Perspektive von Herrn Dr. Schyra, um Ihnen einen direkten Einblick in die Erlebnisse zu geben:

Einige Tage nach der Rückkehr aus Polen schickte mir Max, unser Kontakt aus Lemberg, über den wir die erste Lieferung in die Ukraine bereits organisiert hatten, ein Video von Raketen, die über die Wohnung seiner Familie flogen und kurz darauf, nur ca. zwei Kilometer entfernt, in Treibstofflagern detonierten. In diesem Moment wurde der Familie klar, dass sie die eigene und insbesondere die Sicherheit ihrer beiden leiblichen Kinder sowie eines weiteren Mädchens aus der Verwandtschaft, das bereits zuvor bei ihnen untergekommen war, vor Ort nur noch eingeschränkt gewährleisten konnten.

Wir organisierten eine weitere Wohnung in Essen-Frillendorf, welche glücklicherweise vollständig renoviert, aber unbewohnt war und die Vermieter waren zudem so nett, diese vollständig einzurichten. Die Ausreise aus der Ukraine mit einem Mädchen, welches kein eigenes Kind war, gestaltete sich jedoch sehr aufwändig. Zunächst mussten diverse Unterlagen bei verschiedenen Ämtern besorgt werden. Die größte Herausforderung war es jedoch, die Unterschrift beider leiblicher
Eltern zu erhalten, welche selbst nicht flüchten konnten, da sich der Kindsvater als Soldat im Krieg befand. Max gelang jedoch auch dies und am 21. April 2022 begann er mit seiner Frau und den drei Kindern die Fahrt von Lemberg, durch Polen nach Essen. Da Max einen deutschen Pass besitzt, darf er die Ukraine verlassen und seine Familie begleiten. Auch die Fahrt gestaltete sich herausfordernd, denn die größere Tochter, im Alter von fünf Jahren, litt unter einer Reisekrankheit und somit war es nicht möglich, täglich mehr als 400 km zu fahren. Nach vier Tagen strapaziöser Fahrt erreichte die Familie jedoch endlich ihre Unterkunft in Essen.

Zwischenzeitlich bat uns Max jedoch, ob wir nicht in der Lage wären, eine weitere Hilfslieferung an die ukrainische Grenze zu organisieren. Er hatte bereits Lieferungen aus zahlreichen Ländern und von vielen Organisationen erhalten und im Land verteilt, doch niemand habe sich derart an die Anforderungen benötigter Hilfsgüter gehalten, wie wir. Zudem verschlechterte sich die Lage in Lemberg zusehends, denn Lemberg wurde zum Anlaufpunkte für landesintern Flüchtende, verletzte Soldaten und auch Schwangere, die ihre Niederkunft nicht gefährden wollten. Nachdem jedoch fast alle Hilfsgüter von uns und unzähligen weiteren Hilfsorganisationen nach Kiew oder die östlich bzw. südlich gelegenen Städte der Ukraine weitertransportiert wurden, entstand in Lemberg mittlerweile ein Mangel an Verbandsmaterial, Medikamenten und Versorgungsmitteln für Kleinkinder und Babys. Dieser Bitte folgten wir und organisierten einen weiteren Transport mit genau den benötigten Gütern. Am Sonntag, den 10. April 2022, startete ich erneut gemeinsam mit André Friedrich mit einem großen Transporter eine weitere Tour in Richtung Ukraine. Der Ablauf folgte zunächst dem Muster unserer ersten Reise: Wir fuhren sonntags bis Krakau, wollten montags eigentlich unsere Lieferung an die Grenze bringen, was jedoch erneut scheiterte, denn der Transporter, mit dem die Hilfsgüter von der Grenzregion nach Lemberg weitergefahren werden sollte, war defekt und musste zunächst repariert werden. Nach der Reparatur machten wir uns dienstags morgens auf den weiteren Weg zur Grenze Korczowa (Polen)/Krakowez (Ukraine). Etwa 100 km vor unserem Ziel erhielten wir einen Anruf von Max, in dem er uns mitteilte, dass der Transporter doch nicht wieder vollständig intakt sei und den Weg zur Grenze und anschließend zurück nach Lemberg wohl nicht schaffe.

Nach kurzer Überlegung und Abwägung unserer Alternativen entschieden wir uns, nicht nur bis zur Grenze zu fahren, sondern direkt das endgültige Ziel unserer Lieferung in Lemberg anzusteuern. Uns war bewusst, dass wir hiermit ein zusätzliches Risiko eingingen, jedoch blieb uns nur die Alternative, wieder nach Krakau zurückzukehren und auf unbestimmte Dauer die Reparatur des ukrainischen Transporters abzuwarten. Um keine weitere Verzögerung in Kauf zu nehmen, setzten wir unsere Fahrt also mit Lemberg als neuem Ziel fort.

Nachdem wir an der Grenze ankamen, zeigte sich ein ähnlich trauriges Bild, wie wir es bereits von der Fahrt am vorherigen Sonntag von Essen nach Krakau kannten. Die Anzahl an Hilfslieferungen, die uns auf der Autobahn und an der Grenze begegneten war auf ein absolutes Minimum geschrumpft. Bei unserer ersten Hilfslieferung hätten wir auf der polnischen Autobahn von einem Hilfstransporter zum anderen laufen können, ohne den Asphalt zu berühren. Mittlerweile scheint der Enthusiasmus für eine weitere Hilfsbereitschaft derart abgenommen zu haben, dass wir auf dem gesamten Weg maximal noch fünf Transportern begegneten. Außer einigen LKW, deren Ladung wir nur erraten konnten, sah es an der Grenze identisch aus. Vielleicht ist es menschlich, dass die andauernde
Kriegsberichterstattung die Beobachter nach einer Zeit emotional abstumpfen lässt. Wir halten es jedoch weiterhin für unerträglich, welches Leid den Menschen in der Ukraine widerfährt. Genau dies war auch ein weiterer Grund, der uns darin bestärkte, bis Lemberg zu fahren und die Hilfsgüter persönlich bis an ihr Ziel zu bringen

Vor der Grenze stellten wir uns zunächst wieder in die Schlange, die diesmal jedoch ausschließlich aus
PKW bestand. Auf einer gesonderten Spur warteten zudem einige LKW darauf, ins Grenzgebiet fahren
zu dürfen, der allgemeine Andrang war jedoch nicht mit unserem ersten Aufenthalt im März
vergleichbar.

Nach etwa einer Stunde konnten wir ins Grenzgebiet fahren und warteten im Anschluss vor der
Passkontrolle auf polnischer Seite. Hier war erneut Geduld gefragt, denn zeitgleich zu uns fuhren dort
einige diplomatische Fahrzeuge vor und wenig später begann eine Pressekonferenz, während derer
niemand die Kontrollen passieren dufte.
Nachdem die Diplomaten die Grenze wieder verlassen hatten und wir von den polnischen Beamten
kontrolliert wurden, fuhren wir weiter zur ukrainischen Einreisekontrolle. Hier warteten abermals
Soldaten auf uns und überprüften zunächst unsere Ladung. Die Art und Weise der Kontrolle war uns
bis dato jedoch neu: Ein Soldat zückte sein völlig überdimensioniertes Messer und schnitt willkürlich
sämtliche Pakete auf, die ihm in die Quere kamen. Die Aktion hatte etwas von John Rambo, der sich
mit einer Machete seinen Weg durch den Dschungel bahnt. Ich sprach den Soldaten an, dass wir
glücklich wären, unbeschadet den Weg von Deutschland bis an die Grenze geschafft zu haben und es
schön sei, wenn die Waren die Kontrolle ebenfalls heile überstehen würden. Er würdigte dies nur mit
einem mürrischen Blick. Zumindest unterließ er daraufhin weitere, willkürlich erscheinende Kontrollen
der übrigen Ladung. Sein einziges Interesse war zu erfahren, ob wir Waffen mitführten, was wir jedoch
zurecht verneinten. Somit war sein Einsatz beendet und er trottete von dannen.

Nach wenigen weiteren Metern mussten wir am Zoll angeben, welche Güter wir in welchen Mengen
mitführten. Das auszufüllende Formular umfasste jedoch ausschließlich kyrillische Schrift und meinem
Gesichtsausdruck war wohl eindeutig zu entnehmen, dass ich rein gar nichts verstand.
Glücklicherweise eilte uns ein sehr freundlicher Volunteer zur Hilfe und übersetzte die Angaben ins
Englische. Nachdem auch diese Hürde gemeistert war, durften wir die Zollkontrolle passieren und
fuhren an dem Ort vorbei, an dem wir unsere erste Hilfslieferung, einen Monat zuvor, verladen hatten.
In diesem Moment wurde uns klar, dass dort – selbst wenn der ukrainische Transporter den Weg zur
Grenze geschafft hätte – eine erneute Verladung unmöglich gewesen wäre. Der ursprünglich freie Platz

an der Grenze war vollständig mit LKW zugeparkt und wir konnten uns den Weg entlang der
abgestellten Fahrzeuge zwar bahnen, für die ursprünglich geplante Umladung wäre jedoch kein Platz
gewesen. So verließen wir die Grenze und fuhren an unzähligen Panzersperren und militärischen Checkpoints vorbei, deren Anblick wir bisher nur aus dem Fernsehen kannten. Ab diesem Zeitpunkt verließ uns das Handynetz. Dies war jedoch nur das kleinere Übel. Unser Fahrzeug verfügte nicht über ein Navigationsgerät und wir navigierten bis zuvor ausschließlich per Handy über Google-Maps. Allerdings hatte Google mit Kriegsbeginn sämtliche Ortungsdienste in der Ukraine deaktiviert, was wir auch wussten. Da wir ursprünglich jedoch davon ausgegangen waren, dass unsere Tour an der Grenze ende, hatten wir uns darüber keine weiteren Gedanken gemacht, geschweige denn eine Straßenkarte für die Ukraine mitgenommen. Da Max uns den Ort, an dem wir ihn treffen würden zuvor jedoch gut
beschrieben hatte und wir fast ausschließlich einer Landstraße von der Grenze in Richtung Lemberg
folgen mussten, war der Weg recht einfach zu finden.

Nach etwa einer Stunde Fahrt erreichten wir ca. zehn Kilometer vor Lemberg ein Restaurant, vor dem Max und sein Begleiter, Andrej, bereits auf uns warteten. Dort aßen wir gemeinsam und fuhren im Anschluss weiter nach Lemberg, vorbei an weiteren militärischen Kontrollen, die in Richtung des Stadtkerns immer größer und umfangreicher wurden. Die Straßen waren voller als wir es aus dem Berufsverkehr kennen. Hätten wir nicht gewusst, dass in der Ukraine Krieg herrscht, hätten wir es nicht erahnt. Überall waren unzählige Menschen, die öffentlichen Verkehrsmittel platzten aus allen Nähten und für die verbliebene Strecke brauchten wir fast eine Dreiviertelstunde. Unser Ziel war eine Garage in einem Neubaugebiet. Mit unserer Ankunft erschienen umgehend weitere Helfer, wodurch unsere Lieferung sehr schnell verladen war. Nun wollten wir unseren Rückweg nach Krakau antreten, doch Max und Andrej bestanden darauf, uns zunächst Lemberg zu zeigen. Wir merkten sofort, dass Widerspruch zwecklos war, denn Andrej war ein guter Freund des Bürgermeisters von Lemberg und mittlerweile hatte sich unsere Ankunft bis dorthin herumgesprochen. Es wurde offensichtlich, dass in der Ukraine ein Nationalstolz herrscht, den wir selbst im Jahr 2006 zur Weltmeisterschaft im eigenen Land nicht erreichten.

Wir stiegen also gemeinsam in den Jeep von Andrej und die beiden zeigten uns Lemberg. Wir passierten u. a. Straßen mit alten Villen, die angeblich von der ukrainischen Regierung genutzt werden und das Finanzamt, welche eine unglaubliche Dimension hat. Als wir die Altstadt erreichten, erkannten wir, weshalb die Stadt zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Alles war – im Vergleich zur Essener Innenstadt – ungewohnt sauber und ordentlich. Hier hätte sich niemand getraut, einen Zigarettenstummel oder ein Kaugummi auf den Boden zu werfen.

An zahlreichen Orten hing die ukrainische Fahne oder Schaufenster waren mit Slogans gegen den Krieg bzw. mit Unterstützungsaufrufen durch die Nato und den Westen versehen.

Nachdem wir uns vom Funkturm, auf einem kleinen Berg mitten in der Innenstadt, einen Überblick über die ursprünglich etwa 700.000 Einwohner umfassende Stadt verschafft hatten, fuhren wir weiter in die Altstadt, um dort einen Spaziergang um das Rathaus zu machen. Zugegebenermaßen klingt es alles völlig surreal, eine Stadtrundfahrt und einen Spaziergang in einem Kriegsgebiet zu machen. Wir fühlten uns jedoch zu keinem Zeitpunkt unsicher oder gar gefährdet

In der gesamten Altstadt waren sämtliche Fenster und Türen von Kirchen oder Kunstwerke bzw. Gedenkstätten mit Sandsäcken, Holz- und Metalleinschalungen vor Folgen des Krieges geschützt. Im direkten Umfeld des Rathauses fand unter freiem Himmel ein Gottesdienst für die gefallenen Soldaten statt und in Gedenken an die Opfer waren dort unzählige Grablichter aufgestellt. Der Platz um diese Gedenkstätte war anfangs völlig leer und nachdem wir von unserem Rundgang um das Rathaus zurückkehrten, stand dort eine riesige Menschentraube und betete.

Da mittlerweile schon die Dunkelheit einsetzte und in der Stadt ab 21:00 Uhr Ausgangssperre herrschte, schlug Max uns vor, noch gemeinsam zu Abend zu essen und über Nacht zu bleiben. Dies ging uns jedoch deutlich zu weit. Wir dankten freundlich für die Gastfreundschaft, beharrten jedoch darauf, allmählich die Rückfahrt anzutreten. Die Nacht in einer Stadt zu verbringen, in der täglich mehrmals Fliegeralarm ausgelöst wird, stand für uns nicht zur Debatte. Somit kehrten wir zu unserem Transporter zurück, den wir in dem gut gesicherten und überwachten Neubaugebiet geparkt hatten. Von dort aus fuhren Max und Andrej vor uns her, bis zu einem Punkt, ab dem wir die Rückfahrt zur ukrainisch/polnischen Grenze alleine fanden. Wir verabschiedeten uns und machten uns auf unsere etwa einstündige Fahrt zurück nach Polen.

Auf dem Rückweg fuhren wir erneut die in Abb. sieben gezeigte Straße entlang und plötzlich blinkte uns ein Soldat aus der Dunkelheit mit seiner Taschenlampe an, der uns signalisierte an einem Checkpoint anzuhalten. Er forderte mich auf, auszusteigen und den Laderaum zu öffnen. Was bisher unerwähnt blieb, ist, dass wir vor unserer Abfahrt aus Lemberg noch die persönlichen Sachen von Max und seiner Familie einluden, um diese nach Essen zu transportieren und in die erwähnte Wohnung in Frillendorf zu bringen.

Wir erklärten dem Soldaten die Herkunft unserer Ladung quasi mit Händen und Füßen, da seine Englischkenntnisse ausbaufähig waren. Unsere Bemühungen reichten aus, ihn zu überzeugen und er interessierte sich nicht näher für die Taschen und Spielsachen, die wir mitführten. Nach wenigen Minuten durften wir also unsere Fahrt fortsetzen.

Wenige Kilometer vor der Grenze begann auf der rechten Spur eine nicht enden wollende LKWSchlange. Einige Meter weiter standen auch wir hinter unzähligen ukrainischen PKW mit flüchtenden Frauen und Kindern. Lediglich die linke Spur war frei. Dort patrouillierte das Militär. Nachdem wir dort einigen Minuten standen und abwarteten was passiere, stieg ich aus und sprach einen Soldaten an, ob wir an unserem Platz warten müssten, bis die Kontrollen der Flüchtlinge abgeschlossen seien. Wäre dies der Fall gewesen, hätten wir sicher nicht nur die schon angebrochene Nacht dort verbracht. Er erklärte mir, diesmal in hervorragendem Englisch, dass wir einfach auf der linken Spur an dem Stau vorbeifahren könnten, wenn wir in humanitärer Mission unterwegs wären. Da unser Transporter entsprechend gekennzeichnet war und ich ihm den Grund unseres Aufenthalts in der Ukraine erklären konnte, passierten wir zügig die PKW-Schlange und im Anschluss auch die Einfahrt in das Grenzgebiet. Wie bei unserer ersten Tour, verteilten wir erneut zahlreiche Schokoriegel an die vielen Kinder, welche die Autos an der Zollkontrolle verlassen mussten – unabhängig davon, wie alt sie waren oder ob sie aufgrund der nächtlichen Zeit zuvor bereits tief geschlafen hatten

Wir werden unsere Hilfsleistungen auch zukünftig fortsetzen und sowohl den geflüchteten Familien hier in Essen sowie den unzähligen hilfsbedürftigen Menschen vor Ort in der Ukraine mit den Mitteln helfen, die uns zur Verfügung stehen. Wir schließen uns daher nicht der Tendenz an, unsere Bemühungen zu reduzieren oder gar einzustellen, wie es viele weitere Einrichtungen bedauerlicherweise bereits getan haben.

In diesem Sinne danken wir Ihnen und allen Mitwirkenden für Ihre Unterstützung. Uns ist bewusst, dass Ihr Einsatz, Ihre Zeit, Ihre Zuwendungen, Ihre Bereitstellung von Wohnraum sowie Einrichtungsgegenständen und vielem mehr alles andere als selbstverständlich ist. Trotzdem ist unsere gemeinsame Hilfe nur ein kleiner Teil, der nicht annähernd ausreichen wird, das gesamte Leid der Bevölkerung in der Ukraine zu lindern. Es wäre auch vermessen, dies anzunehmen. Lassen Sie uns bitte gemeinsam weiterhin unseren Beitrag leisten, unser möglichstes für die Ukrainerinnen und Ukrainer zu tun und nicht dem Alltag zu verfallen oder emotional abstumpfen. Wir danken Ihnen hierfür ganz herzlich.

Im Anschluss folgten erneut die Ausreise- und die Einreisekontrolle aus der Ukraine und nach Polen, welche einige Zeit in Anspruch nahmen, da zeitgleich viele Busse und Autos mit Flüchtenden überprüft wurden. Nachdem wir auch hier mehrfach erklärten, wem die Dinge in unserem Transporter gehörten, konnten wir gegen Mitternacht nach Polen einreisen. Glücklicherweise hatten wir bereits auf der Hinfahrt einige Benzinkanister gefüllt, da die Tankstellen im Grenzgebiet geschlossen waren bzw. lediglich militärischen Fahrzeugen zur Verfügung standen und wir unsere Rückfahrt ohne diese Reserve nicht geschafft hätten.

Auf der Rückfahrt begegneten uns unzählige Schwertransporter, die eindeutig Kriegsgerät in die Ukraine brachten. Die transportierten Fahrzeuge waren zwar alle mit Planen abgedeckt, doch die Silhouetten ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um Panzer handelte. Gegen 03:00 Uhr erreichten wir Krakau nach einem aufregenden und sicherlich unvergesslichen Tag. Erneut prägten sich mir Bilder ein, die täglich wieder aufsteigen, wenn ich die Nachrichten sehe.

Am nächsten Tag traten wir mittags die Rückfahrt nach Essen an und sprachen die gesamte Fahrt noch über die Erlebnisse des Vortages. In der Folge erreichten uns zahlreiche Fotos von Krankenhäusern in Lemberg, denen insbesondere unserer Hilfsgüter für Babys, Kleinkinder und Schwangere übergeben wurden. Zudem ist dokumentiert, dass Medikamente und Verbandsmaterial ins Kriegsgebiet nach Charkiw transportiert wurden und dort zum Einsatz kamen.

Da Max die Hilfslieferungen weiterhin koordiniert, konnten wir seine nächste Fahrt in die Ukraine insbesondere mit Babyartikeln ausstatten. Wir gehen davon aus, dass diese Ende Mai in Lemberg ankommen.

Über den Autor

Julian Kampmann

About the Author: Julian Kampmann

ist Vermögensbetreuer und Experte für Digitale Assets. Einer der Schwerpunkte seiner Arbeit liegt in der Entwicklung und Umsetzung von Portfolio-Strategien mit Bezug auf Kryptowährungen.
Julian Kampmann

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